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Sonntag, 30. Juni 2024

Nightowls. Boten der Dämmerung

 Autorin: Kathrin Tordasi
Erschienen am 13.3.2024
Im Fischer Tor Verlag
ISBN: 9783596707539
Rezensionsexemplar: Ja

Quelle: Verlag


Klappentext:
"Magische Urban Fantasy in London über den Kampf gegen das Chaos – und die Suche nach dem eigenen Selbst

Unter dem Deckmantel der Nacht bricht eine schleichende Welle der Zerstörung über London herein. Vögel fallen vom Himmel, Straßen zerbröckeln in bodenlose Abgründe und Menschen lösen sich in Sternenstaub auf.

Nyx und James sind Nachtboten, die nicht nur die Anzeichen der drohenden Apokalypse zuerst erkennen, sondern auch entschlossen sind, sie aufzuhalten. Im Labyrinth der Stadt suchen sie nach einem Menschen, der die Saat des Chaos streut – doch sie sind nicht die einzigen. Konkurrenz machen ihnen die Agenten des Ordens des Ersten Tages, die ganz eigene Pläne zu verfolgen scheinen. Von allen Seiten bedrängt beginnen Nyx und James zu ahnen, dass die größte Gefahr von ihnen selbst ausgeht.

Für Leser*innen von Leigh Bardugo, Liza Grimm oder V.E. Schwab."
Quelle: Verlag

Meine Meinung:
Dieses Buch lag peinlich lange bei mir daheim rum. Wäre es kein eBook gewesen, wäre es wohl verstaubt. Das hing aber nicht damit zusammen, dass ich keine Lust darauf hatte, ganz im Gegenteil. Schon seit längerer Zeit steht "Nightowls" auch im Bücherregal bei der Arbeit und jeden Tag, wenn ich daran vorbei gelaufen bin, habe ich mich gefreut, das auch bald in die Hand zu nehmen. Und dann ging ich nach Hause und habe irgendwie versucht, an meiner Masterarbeit weiterzuwerkeln und meine Wohnung davon abzuhalten, im Chaos zu versinken. Uuuund wieder blieb dieses Buch einen weiteren Tag ungelesen liegen. In den letzten beiden Wochen habe ich jetzt aber wieder versucht, meine Lese-Routine wieder aufzunehmen: 50 Seiten pro Tag, komme was wolle. Und eines der ersten Bücher, die ich im Zuge von diesem Experiment von ihrem SUB-Dasein erlösen konnte, war dieses hier. Endlich!

Zu Beginn dieses Buches war ich ehrlich ein bisschen verwirrt. Was sind Nachtboten und was sind Tagboten? Warum haben es die Tagboten auf die Nachtboten abgesehen? Was ist das Chaos? Und was unterscheidet dieses Chaos von dem meiner Wohnung? Und auch: Wie hängen all diese Perspektiven miteinander zusammen? Bei mir hat das etwas gebraucht, bis ich das alles endlich durchschaut habe. Sobald ich aber einen Grundstock an Wissen über diese Welt aufgebaut habe, fand ich diese Geschichte und ihre Figuren sehr spannend. Vor allem Nyx war mir bald sehr sympathisch. Bis auf ihre Nachtmagie ist sie nämlich eigentlich ein ganz normaler Mensch, der nur ihre Ruhe haben will.
Nach einem sehr starken Mittelteil folgte dann leider noch ein eher schwächeres Ende. Schwächer vor allem deswegen, da hier ein Plottwist auf den anderen folgt, was ich persönlich bald sehr verwirrend fand. 

[Spoiler]
Ab Beginn der zweiten Hälfte habe ich das Chaos und die Chaosträger als Metapher für psychische Krankheiten gelesen und war überzeugt davon, dass diese Metapher bis zum Ende standhalten wird. Ich war mir sicher, dass vor allem das Thema Trauer noch eine große Rolle spielen würde - und das fand ich richtig toll, denn alle von uns werden irgendwann trauern müssen. Trauer ist ein grauenhaftes Gefühl, doch es ist Teil des Lebens und gehört dazu. Es bringt nichts, so zu tun, als hätten wir dieses Gefühl nicht, und uns zum Funktionieren zu zwingen. Genau das tun Nyx und James aber nach dem Tod ihres Adoptivbruders. Sie verdrängen den Schmerz und setzen sich nicht damit auseinander. Vor allem Nyx leidet sehr darunter, denn sie macht sich für Leons Tod verantwortlich. Diesen inneren Stress, unter dem beide Geschwister stehen müssen, als alles zerstörendes Chaos darzustellen, fand ich genial - denn genau so fühlt es sich doch an, zu trauern, oder? Zumindest für mich beschreibt das die erste Zeit nach dem Verlust von jemandem, den ich liebe, doch sehr gut. Und hier wird diese Trauer halt durch das Chaos sichtbar gemacht und für den Rest der Welt sichtbar gemacht. Für mich war das offensichtlich. Zumindest bis zu den letzten paar Seiten. Jetzt bin ich mir ehrlich gesagt nicht mehr ganz sicher, ob die Autorin diese Metapher tatsächlich so geplant hat, wie ich sie gelesen habe.

Das Buch liest sich im Großen und Ganzen sehr gut und konnte mich über weite Teile fesseln.

Alles in allem? Eine Lektüre über Geschwisterliebe und Trauer, mit einigen Schwächen, aber trotzdem spannend.

Samstag, 22. Juni 2024

Stolz und Vorurteil. Die Graphic Novel nach Jane Austen

Autorin: Claudia Kühn
Illustratorin: Tara Spruit
Nach Jane Austens Roman
Erschienen am 12.6.2024
Im Loewe Verlag
ISBN: 9783732022588
Rezensionsexemplar: Ja

Quelle: Verlag


Klappentext:
"Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Mädchen ab und zu von der Liebe träumt
Elizabeth Bennet hat vier Schwestern und eine Mutter, deren größte Sorge ist, alle Töchter unter die Haube zu bringen. Als der vermögende Mr Bingley und sein attraktiver Freund Darcy das benachbarte Anwesen Netherfield beziehen, ist Mrs Bennet ganz aus dem Häuschen. Aber schon beim ersten Tanz wird Elizabeth klar, dass sie nie, niemals einem so stolzen und arroganten Mann wie Mr Darcy ihr Herz schenken könnte.
Niemals?
Wirklich, Lizzy???
Erlebe den Klassiker neu als hinreißende Graphic Novel
Seit über zweihundert Jahren begeistert Jane Austens Stolz und Vorurteil Leserinnen weltweit immer wieder neu. Diese wunderschöne Graphic Novel sollte in keiner Austen-Sammlung fehlen. Mit ihren bezaubernden Illustrationen verwandelt Tara Spruit den zeitlosen Klassiker Stolz und Vorurteil in eine hochwertige Graphic Novel, die sich nicht nur als Geschenkausgabe für Jane Austen-Begeisterte eignet, sondern alle Regency-Fans zum Träumen einlädt. Verliebe auch du dich unwiederbringlich in den ultimativen Book Boyfriend Darcy!"
Quelle: Verlag

Meine Meinung:
Ich schäme mich fast schon das zu sagen: Ich habe "Stolz und Vorurteile" bisher noch nicht gelesen. Und das als Literaturwissenschaftlerin, die hoffentlich bald ihren Master in den Händen hält. Klar habe ich schon Fächer belegt, in denen dieses Buch auf der Leseliste gestanden wäre. Aber trotzdem habe ich mich bisher immer darum herumgewunden. Es ist nicht so, als hätte ich es nicht zumindest versucht. Aber reingefunden habe ich bisher nie. Als ich dann auf NetGalley dieses Graphic Novel gesehen habe, habe ich einfach mal spontan beschlossen, diesem Roman eine allerletzte Chance zu geben.
Und was soll ich sagen? Ich habe tatsächlich endlich "Stolz und Vorurteile" fertig gelesen! Zwar nur als Graphic Novel, aber wer interessiert sich schon so genau für die Details?

Speaking of details:  Die haben mir leider bei diesem Zeichenstil stellenweise gefehlt. Gerade wenn mehrere Figuren in einem Bild zu sehen waren, fiel es mir sehr schwer, sie auseinanderzuhalten. Und das war in vielen Fällen nicht unbedingt hilfreich, wenn es darum ging, die Geschichte zu verstehen. Das war für mich gerade zu Beginn ein Problem. Vielleicht wäre es hier gut gewesen, die Figuren etwas individueller zu gestalten.

Die Geschichte an sich gefiel mir besser, als ich ursprünglich gedacht hätte. Ich hatte tatsächlich Spaß mit der Geschichte, auch wenn dieser Spaß vor allem erst in der zweiten Hälfte auftauchte, als Mr. Darcy endlich seine Gefühle zu zeigen begann. Doch gleichzeitig fehlte mir bei Mr. Darcy ein sauberer Übergang. Während es für mich bei Lizzy sehr gut nachvollziehbar war, dass sie Mr. Darcy irgendwann nicht mehr leiden konnte, war das bei Mr. Darcy anders: In der einen Sekunde ist er ein arroganter Mistkerl, im nächsten Kapitel ist er unsterblich in Lizzy verliebt und würde alles für sie tun. Keine Ahnung, ob das im Originalbuch genauso ist. Es hat mich auf jeden Fall gestört, denn ich habe nicht ganz verstanden, woher Mr. Darcys Sinneswandel kommt. Nur, weil ihm Lizzy mal den Kopf gewaschen hat? Weil sie ihn für einen schlechten Menschen hält? Warum interessiert ihn das plötzlich? Das war für mich nicht ganz nachvollziehbar?

Mein Fazit? Ein Graphic Novel für Zwischendurch, das aber leider kleine Schwächen mitbringt.

Freitag, 21. Juni 2024

Inside KI


Quelle: Verlag

Künstliche Intelligenz ist im Moment ein riesen Thema. Und natürlich auch für mich, immerhin schreibe ich dazu meine Masterarbeit. Eh klar also, dass ich deswegen alles dazu lese, was ich in die Finger bekomme, oder? Selbst mein Arbeitsplatz ist vor dieser aktuellen Obsession von mir nicht sicher. Wie man an diesem Buch merkt, den das habe ich unauffällig eingesteckt, als wir es zugeschickt bekommen haben.

Auf Social Media ist KI ja gerade im Bezug auf die Literatur und die Kunst ein richtig heißes Eisen. Kein Tag vergeht, wo ich nicht irgendwo eine große Diskussion dazu sehe. Je nachdem, wen du fragst, ist KI die Erlösung oder ein Teufelswerk, das uns alle ruinieren wird. Dazwischen gibt es scheinbar nur sehr wenige Meinungen, was ich ziemlich schade finde. Nein, ich will in Zukunft nicht täglich zehn KI-geschriebene Romane angeboten bekommen. Trotzdem glaube ich, dass KI auch für Autor:innen ein hilfreiches Werkzeug sein kann.

In diesem Sachbuch haben die Autor*innen versucht, ein leicht verständliches Grundlagenwerk über Künstliche Intelligenz zu schaffen. Holzki und Scheuer erklären die Chancen – und Risiken –, die sich in verschiedenen Bereichen durch Künstliche Intelligenz ergeben. Es geht um Kunst, um Informatik, den Krieg oder die Medizin. Durch die breite Fächerung des Inhalts ist wohl für die meisten Leser*innen etwas Spannendes dabei.

Der Schreibstil ist dabei einfach verständlich und an vielen Stellen fast prosaischen Text. Das macht das Buch angenehm zu lesen und sicher auch für viele Leute verständlich. Allerdings hätte ich die erzählenden Abschnitte über die Details der Recherchereisen der Autor:innen nicht unbedingt gebraucht und habe diese Teile auch oft nur überflogen. Ich bin mir daher auch nicht sicher, wie sinnvoll die Einschübe wirklich waren.

Das Sachbuch ist übersichtlich aufgebaut. Hilfreich finde ich auch die Kurzzusammenfassungen am Ende jedes Kapitels.

Mein Fazit? Ein Buch, das vor allem für totale KI-Neulinge interessant sein könnte. Ich habe für mich aber leider eher weniger Neues gefunden.

Dienstag, 11. Juni 2024

Der Plan zur Rettung der Welt [Kurzrezension]

 

Quelle: Verlag

Dieses Buch ist der erste Roman seit einer halben Ewigkeit, den ich euch mal wieder uneingeschränkt empfehlen kann. Immer wieder begegne ich einfach Büchern, die mich daran erinnern, wie sehr ich das Lesen eigentlich liebe und warum ich mich dazu entschlossen habe, Literaturwissenschaften zu studieren. "Der Plan zur Rettung der Welt" ist eines dieser Bücher. Es ist unglaublich gut geschrieben, spannend, super kritisch und intelligent und hat meiner Meinung nach das Potential, zum Klassiker der Zukunft zu werden. 

Doch worum geht es? Es geht um Emi und Larch. Die beiden sind Tochter und Vater und leben in einer klimaneutralen und friedlichen Welt. Während Larche und Emis Mutter noch vor Hitze und Waldbrände geflohen sind und gegen die Ausbeutung von Mensch und Umwelt gekämpft haben, lebt Emi ein bequemes Leben, das nur von den Erwartungen und ständigen Streitereien ihrer Eltern überschattet wird. Doch dann kommt es zu Anschlägen auf verschiedene Politiker – und die Welt, wie Emi und ihr Vater sie kannte, bricht damit zusammen. Denn in den darauffolgenden Ermittlungen ist Emis Mutter die Hauptverdächtige.

Dieses Buch erzählt von einer Welt am Rande des Abgrunds und ist dabei stets glaubwürdig. Auch der Generationenkonflikt zwischen Emi und ihren Eltern wirkte auf mich authentisch. Die Folgen des Klimawandels, die hier dargestellt und eindringlich beschrieben werden, bleiben im Gedächtnis - und entsprechen leider ziemlich genau dem, was auch wir in Zukunft erwarten können. Dass wir unseren Schmarrn endlich auf die Reihe bekommen und die Klimakatastrophe aufhalten können, glaube ich nach der Wahl am Sonntag leider nicht mehr. Genau wie es in diesem Roman beschrieben wird, werden auch wir in ein oder zwei Jahrzehnten Schadensbegrenzung betreiben müssen. Wie die Protagonisten werden wir Opfer bringen müssen - und ich kann nur hoffen, dass diese Opfer nicht ganz so groß sein werden wie hier. 

Mein Fazit? Climate Fiction vom Feinsten und damit eine große Empfehlung für euch alle. Das hier hat es verdient, ein Klassiker der Zukunft zu werden!

Freitag, 7. Juni 2024

Bible Bad Ass

 Autorin: Edith Löhle
Erschienen am 4.3.2024
Im Leykam Verlag
ISBN: 9783701183227
Rezensionsexemplar: Ja

Quelle: Verlag

Klappentext:
"Klara hat die Schnauze voll. Ihre Arbeit als Redakteurin eines sogenannten Frauenmagazins, der allgegenwärtige Sexismus des Chefredakteurs, die Erwartungen ihres Boyfriends und die miserable Situation von Frauen überall auf der Welt bringen sie an den Rand eines feministischen Burn-Outs. Als sie den Auftrag bekommt, eine Story über eine motorradfahrende Pastorin zu schreiben, führt die Recherche sie zu biblischen Frauenfiguren, von denen sie noch nie gehört hat. Wie sehr es doch mit den herrschenden Geschlechterverhältnissen zu tun hat, wie Geschichten von Frauen erzählt und überliefert werden! Während Klara die Story aufschreibt, melden sich immer mehr unbekannte Nummern auf ihrem Smartphone, die sie zu einer Gruppe namens »Bible Bad Ass« einladen. Sie nennen sich Magdalena, Maria, Ruth, Lilith, … – was, zur Hölle, ist hier los? 

Bible Bad Ass ist eine Abrechnung mit den Lügen der Kirchenväter und der Anfang einer Vertöchterung. Ein hartes, smartes und durch und durch popkulturelles Debüt."
Quelle: Verlag

Mein Kommentar:
Man wird es kaum glauben: Ich bin immer noch Teil der katholischen Kirche, trotz der vielen Kritik, die ich nicht nur hier äußere. Der Grund dafür ist größtenteils, dass ich eine katholische Schule besucht habe und dort eine wunderschöne Art kennenlernen durfte, Glauben zu leben. Und auch, wenn man mich bis heute nur zu besonderen Anlässen in der Kirche sieht und ich keine Möglichkeit auslasse, Religion und vor allem die mächtigen Personen wie den Papst zu kritisieren, bin ich trotzdem noch immer Teil dieser Religion. Auch, wenn mich jede queerfeindliche oder sexistische Aussage des Papstes einen Schritt näher an den Austritt bringt. Vielleicht komme ich in die Hölle dafür, aber dieser Typ ist sowas von vorgestrig und sollte einfach keinerlei Macht haben dürfen. 
Und gerade weil die katholische Kirche in vielen Fällen immer noch unglaublich sexistisch und queerfeindlich ist, finde ich es wichtig, sich über Gegenentwürfe zu informieren. Und da gibt es wirklich viele tolle Projekte und Initiativen, die sich zum Beispiel für mehr Recht der LGBTQIA+-Community im katholischen Glauben einsetzen, für eine Aufhebung des Zölibats oder auch dafür, dass Frauen endlich als gleichwertig angesehen werden und nicht mehr rein auf ihre Gebärmutter reduziert werden. Also war ich natürlich auch auf dieses Buch sehr gespannt.

Aber nein. Das hat hier nicht unbedingt funktioniert. Leider, denn ich hätte mir das sehr gewünscht. Und dabei geht dieses Buch wirklich gut los! Klara flippt gegenüber ihres sexistischen Chefs endgültig aus, weil er ihren Artikel über eine queere und feministische Priesterin bis zur Unkenntlichkeit verändert hat. Sie wird zwangsbeurlaubt - und während dieses Zwangsurlaubs in eine seltsame Whatsapp-Gruppe eingeladen, die sich "Bible Bad Ass" nennt. Und hier lernen wir gemeinsam mit Klara die wichtigen Frauen der Bibel kennen. Und das könnte super interessant sein! Immerhin kennt die Bibel überraschenderweise doch relativ viele starke Frauengestalten, auch wenn diese durch verschiedene Übersetzungen und Überlieferungen teils bis zur Unkenntlichkeit verändert wurden. Oder habt ihr zum Beispiel gewusst, dass Maria ursprünglich eine junge Frau war und keine Jungfrau? Nein? Tja, wundert mich nicht wirklich, denn um sowas rauszufinden, muss man doch literaturwissenschaftliche Vorlesungen besuchen, zumindest meiner Erfahrung nach. Also hatte ich gehofft, durch den Bibelchat noch mehr über solche Fehler und Verunstaltungen zu erfahren.

Das hat sich aber nicht erfüllt. Stattdessen triftete der Chat sehr schnell ins Esoterische ab und war voll mit Kalendersprüchen (die im Buch auch selbst so genannt werden), die mich irgendwann nur noch die Augen verdrehen ließen. Es wirkte fast so, als wäre es hier das Ziel gewesen, so viele zitierfähige Sätze wie möglich zu schaffen - dabei schien aber der Rest des Buches eher vernachlässigt worden zu sein. So gibt es sehr schnell keine wirkliche Story mehr, abgesehen eben vom Bibelchat. Außerdem wurden dann gerade gegen Ende des Buches einige wirklich ungesunde Glaubenssätze verbreitet, die so einfach nicht unkommentiert stehen gelassen werden sollten. 
Zum Beispiel wird dann Klaras Umfeld als fast schon antagonistisch dargestellt. Und wisst ihr warum? Weil sie sich Sorgen machen und ein ernstes Gespräch mit Klara führen wollen. Was echt gerechtfertigt ist, denn Klara befindet sich in einer Lebenskrise und beginnt plötzlich, ein unglaubliches Interesse für Religion zu zeigen, obwohl sie sich früher nie dafür interessiert hat. In so einer Situation ist es eigentlich sogar sehr gut, dass Klaras Umfeld hier kritisch reagiert. Und der Ratschlag des Bibelchats, sich von diesen Menschen zu distanzieren, weil sie Klaras Glauben schwächen könnten und selbst noch nicht bereit dafür sind ... nun ja, wisst ihr, wer solche Ratschläge normalerweise gibt? SEKTEN! Klara verhält sich, als wäre sie plötzlich Teil einer verdammten Sekte, bricht Kontakt zu anderen ab, und fühlt sich in ihrem neu gefundenen Glauben um so vieles besser und intelligenter als andere Menschen in ihrem Umfeld.

Was mich auch sehr gestört hat, war die Lösung von Klaras Problem. Ich weiß, dass das (eben unter anderem wegen Religion) in unserer Gesellschaft anders verkauft wird, aber: weibliche Wut ist nicht das Problem. Weibliche Wut (und nichtbinäre und oft auch Wut im Generellen) kann unglaublich produktiv sein, ist aber meistens zumindest ein Signal, dass etwas an einer Situation nicht richtig ist. Einem wütenden Menschen zu empfehlen, dass er/sie/they nicht wütend sein solle und diese Wut zu moralisieren, ist nicht in Ordnung - genau das passiert hier aber zwischen den Zeilen. Statt mit Wut solle man mit Liebe reagieren. Tja ... sagt ein Buch über eine Religion, deren Gottessohn mal aus Wut einen Tempel auseinandergelegt hat.

Auch fand ich diese übertriebene und oft sehr skurrile Verherrlichung des weiblichen Körpers hier unangenehm. Ich will gar nicht wissen, wie oft es hier zu Wortneuschöpfungen mit den Worten "Vulva" (okay) und "Muschi" (ich hasse dieses Wort, warum wird das hier für Neologismen verwendet?!) kam. Klara hörte eine Millionen mal in ihren Schoß hinein. Ach, und scheinbar sind wir alle selbst schuld an unseren Regelschmerzen. Denn diese entstehen dadurch, dass wir nicht genug Kontakt mit unserer Weiblichkeit haben und kollektives Trauma mit uns herumtragen. Darüber konnte ich wirklich nur noch den Kopf schütteln. Ja, kollektives und vererbtes Trauma existiert und das haben wohl die meisten von uns. Aber so Menschen mit Menstruation für ihre Schmerzen verantwortlich zu machen? Nope, geht gar nicht!

Durch diesen übermäßigen Fokus auf das Individuelle, auf die Gefühlsebene und die Verteufelung von Kritik verliert dieses Buch leider auch etwas wirklich wichtiges aus den Augen: Die katholische Kirche ist bei weitem nicht perfekt. Da sind ein großer Haufen Änderungen nötig und ich glaube nicht, dass die sich einfach ergeben werden. Die werden nicht einfach von selbst auftauchen, nur weil wir fest genug an die Bibel und an göttliche Kräfte geglaubt haben. Dafür müssen wir arbeiten. Wir müssen Kritik üben, müssen wütend sein, neue Thesen an Kirchentüren annageln. Nur durch brav sein, wird sich nichts verändern. Und auch Bücher wie dieses tragen nicht unbedingt zu einer Revolution bei.

Mittwoch, 5. Juni 2024

Candy Haus [Abgebrochen]

Autorin: Jennifer Egan
Erschienen am 27.2.2024
Im S. Fischer Verlag
ISBN: 9783596709342
Rezensionsexemplar: Ja

Quelle: Verlag

Klappentext:
"Mit ihrem Roman »Der größere Teil der Welt« gelang Jennifer Egan der internationale Durchbruch. Jetzt knüpft sie in ihrem neuen visionären Roman »Candy Haus« über unsere Gegenwart ein schillerndes Netz aus Lebensläufen. Im Mittelpunkt steht der charismatische Bix Bouton, Gründer eines atemberaubenden Start-ups in Amerika. Sein Coup ist eine App, die unsere Erinnerungen ins Netz hochlädt. Ein gefährliches Glück, denn die Erinnerungen werden für andere sichtbar. Und da ist Bennie Salazar, Ex-Punk-Rocker, der als Musikproduzent in Luxus driftet und seinen Sohn an die Sucht verliert …

New York, Chicago, Los Angeles – die Wüste, der Regenwald: Mit vor Energie funkelnden Figuren erzählt Egan von der Suche nach Familie und Geborgenheit in einer Zeit, in der die digitale Welt unsere Sehnsüchte auffrisst."
Quelle: Verlag

Meine Meinung:
Zuallererst direkt: Wer hier einen typischen Roman erwartet, ist an der falschen Adresse. Denn eigentlich würde ich dieses Buch eher als Kurzgeschichtensammlung als als Roman bezeichnen. Die Figuren hängen zwar alle zusammen und scheinen eine gemeinsame Geschichte zu erleben - oder zumindest verweist der Klappentext darauf -, aber in den ersten 75 Seiten merkt man davon nichts. Hier sah ich einfach nur wirklich viele Perspektiven, zwischen denen auch noch häufig gewechselt wurde. Der Schreibstil unterschied sich zwischen den einzelnen Kapiteln bisher auch nicht wirklich, was es für mich schwierig machte, mich zu erinnern, wer denn gerade erzählte.

Die Handlung dieses Buches dreht sich um verschiedene Männer, die sich ihrer Umwelt gegenüber absolut empathielos verhalten und sich scheinbar nur für sich selbst interessieren. Sie tun, was auch immer sie wollen und reagieren dann wie kleine Kinder überrascht darauf, dass ihr Handeln Konsequenzen mit sich bringt. Vielleicht finden sich in diesem Buch weiter hinten noch spannendere oder liebenswertere Figuren, die in mir mehr Gefühl als nur Frustration hervorrufen. Ich kann es euch nicht sagen, denn nach Seite 75 habe ich hier aufgegeben. Normalerweise zwinge ich mich zumindest, bis Seite 100 zu lesen, aber hier? Ich glaube, ich habe mir bereits jetzt schon ein Bild gemacht, das ausführlich genug ist, um meine Meinung begründen zu können.

Von der neuen App, von der uns ja schon im Klappentext erzählt wird, habe ich bisher leider auch noch nicht wirklich was mitbekommen. Was schade ist, denn diese App ist eigentlich der Grund, warum ich dieses Buch lesen wollte. Darüber bin ich vor allem deswegen überrascht, weil dieses Buch mit einem Kapitel aus der Sicht von Bix Bouton beginnt. Dann nach 75 Seiten festzustellen, dass diese gefeierte App noch nicht wirklich eine Rolle gespielt hat, war für mich dann doch eher überraschend. 

Mein Fazit? Das war leider gar nicht mein Fall. Schade.