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Mittwoch, 6. Mai 2020

Die rechtschaffenen Mörder

Autor: Ingo Schulze
Erschienen am 4.3.2020
Im S. Fischer-Verlag
ISBN: 9783103900019
Rezensionsexemplar: Ja

Quelle: Verlag
Zum Autoren:
"Nach seinem Abitur 1981 absolvierte Ingo Schulze 18 Monate lang Grundwehrdienst. Von 1983 bis 1988 studierte er Klassische Philologie (Altgriechisch, Latein) und Germanistik in Jena. Von 1988 bis Angang 1990 war er Schauspieldramaturg am Landestheater Altenburg und gründete dann das "Altenburger Wochenblatt", wo er auch arbeitete. 1993 verbrachte er ein halbes Jahr in St. Petersburg und gründete das erste kostenlose Anzeigenblatte “Priwet Peterburg". Heute lebt er in Berlin in zweiter Ehe mit der Literaturwissenschaftlerin Jutta Müller-Tamm und seinen zwei Töchtern. Ingo Schulze ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Seine Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Bereits 1995 erhielt er den Förderpreis des Alfred-Döblin-Preises und den Ernst-Willner-Preis. Es folgten zahlreiche weitere Preise und Ehrungen, unter anderem der Preis der Leipziger Buchmesse (2007), der Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg (2013) und der Rheingau-Literaturpreis (2017)."
Quelle: Lovelybooks

Klappentext:
"Wie wird ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär – oder zum Revoluzzer? Eine aufwühlende Geschichte über uns alle.
Norbert Paulini ist ein hoch geachteter Dresdner Antiquar, bei ihm finden Bücherliebhaber Schätze und Gleichgesinnte. Über vierzig Jahre lang durchlebt er Höhen und Tiefen. Auch als sich die Zeiten ändern, die Kunden ausbleiben und das Internet ihm Konkurrenz macht, versucht er, seine Position zu behaupten. Doch plötzlich steht ein aufbrausender, unversöhnlicher Mensch vor uns, der beschuldigt wird, an fremdenfeindlichen Ausschreitungen beteiligt zu sein. Die Geschichte nimmt eine virtuose Volte: Ist Paulini eine tragische Figur oder ein Mörder?
Auf fulminante Weise erzählt Ingo Schulze von unserem Land in diesen Tagen und zieht uns den Boden der Gewissheiten unter den Füßen weg."
Quelle: Verlag

Meine Meinung:
An dieses Buch hatte ich hohe Erwartungen. Das Cover gefiel mir richtig gut und viele andere BloggerInnen haben das Buch sehr positiv bewertet. Auch den Klappentext fand ich spannend. Ein Bücherwurm und Antiquar, der zum fremdenfeindlichen Mörder wird, vielleicht sogar zum Nazi? Geht das? Vor allem: Geht das so, dass ich die Geschichte auch glaubwürdig finde? Für mich war klar, dass ich dieses Buch lesen muss. (So wie eigentlich jedes Buch, in dem es um Buchmenschen geht.)

Was mich an Paulini zu Beginn vor allem überraschte: Der ist ja total sympathisch! Also jetzt nicht so, dass ich ihm sofort um den Hals springen würde, aber zumindest so, dass ich wohl ziemlich bald ebenfalls regelmäßige Besucherin im Antiquariat werden würde. Doch das Antiquariat, damit beginnt das Buch nicht mal. Das Buch beginnt noch vor Paulinis Geburt, begleitet ihn durch seine gesamte Kindheit und Jugend, bei seinen ersten Schritten als Buchhändler, beim Aufbau des Antiquariats und so weiter, bis ins hohe Alter, wo dann die Geschichte plötzlich unterm Satz abbricht und andere Figuren weitererzählen. Zugegeben: Das hat mich ziemlich irritiert, dass das Kapitel mitten unter dem Satz endet. Das habe ich einfach nicht erwartet. Und wenn, dann wohl nur dann, wenn im nächsten Kapitel eine Erklärung geliefert wird. Aber das ist nicht passiert. Schlimmer: Da gab es dann plötzlich keine Kapitel mehr und Paulini war zwar immer noch präsent, aber jetzt erzählten andere.
[Spoilergefahr im nächsten Absatz!]
Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, was ich von Paulini halten soll. Was ich glauben soll. Ja, im Laufe des Buchs verbittert er immer mehr und beginnt immer feindseliger gegenüber allem zu werden, das "von außen kommt", aber ob ich ihm einen Mord zutrauen würde? Nein, wohl eher nicht. Er scheint halt einfach ein verbitterter alter Mann zu sein, dem das Leben nicht immer leicht gemacht wurde. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs hat er plötzlich massenhaft Kundschaft verloren, ging pleite, konnte sich irgendwie wieder aufraffen, dann kam auch schon das Internet und ihr wisst ja, wie es vielen kleinen Buchhandlungen mit dem Internet geht. Da kaufen Stammkunden dann plötzlich doch lieber bei Amazon und co.
[Spoilergefahr ist zu Ende!]
Uff, ich weiß echt nicht, was ich von Paulini halten soll. Ist er ein Nazi? Ein Mörder? Oder doch nur ein frustrierter alter Mann, der gedanklich irgendwo in der Vergangenheit stecken geblieben ist? Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Entwicklung von Paulini zum vielleicht Nazi und vielleicht Mörder nachvollziehbar finden soll. Ich weiß es einfach nicht. Aber vielleicht ist das ja auch der Sinn der Sache. Dass keine klare Antwort geliefert wird. Gibt es ja auch im echten Leben oft nicht.

Besonders gut an diesem Buch gefallen, hat mir der Schreibstil. Ich habe viele Formulierungen angestrichen, die mir gefallen haben, habe das "Notizbuch" meines Readers um mindestens zwanzig Seiten erweitert. Gerade zu Beginn gab es einfach total viele Stellen, die mich zum Lächeln gebracht haben oder die ich mir eingeprägt hab, damit ich ganz schnell den Computer anwerfen und diese Stelle in einen Buchzitate-Post einspeisen kann.

Weniger gefallen hat mir, dass eben plötzlich die Perspektive gewechselt wird. Das hat mich irritiert (was wahrscheinlich auch der Sinn der Sache war) und ich fand die anderen Figuren einfach nicht ganz so interessant wie Paulini. Klar, die Außenperspektive war wohl irgendwie notwendig. Aber diese Zäsur war dann doch eher...extrem!

Mein Fazit? Mir hat dieses Buch wirklich gefallen. Es hat mich zum Nachdenken angeregt. Allerdings gibt es meiner Meinung nach immer noch Luft nach oben.

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