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Quelle: Verlag |
Dieses Buch habe ich im Zuge einer Bloggerveranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse 2024 bekommen. Ist also auch schon wieder ein bisschen her. Ich wusste dann zuerst nicht, ob oder wann ich es lesen würde. Die Lesung dazu war spannend, die Autorin sympathisch, aber es hörte sich einfach nicht nach meinem "typischen" Buch an. Letztes Wochenende war es dann aber so weit und ich bekam Lust, es doch mit diesem Roman zu versuchen. Also ab in die Sonne damit und losgelesen.
Kurze Info zuerst: In diesem Buch geht es um eine Form der Demenz. Wenn ihr dieses Thema gerade aus welchen Gründen auch immer nicht aushaltet, dann klickt doch schnell zur nächsten Rezension weiter.
Ich hätte vollstes Verständnis dafür: Demenz ist eine grauenhafte Krankheit, die ich niemandem wünschen würde. Ich denke, jede Person, die schonmal jemanden an einer Ausprägung dieser Krankheit verloren hat, würde mir da zustimmen. Du kannst dem betroffenen Menschen einfach zusehen, wie er sich auflöst, und zwar für immer. So fühlte es sich für mich an: Als würde ein betroffener Mensch sich selbst verlieren, manche über Jahre hinweg, andere innerhalb weniger Monate. Erinnerungen gehen verloren, damit auch die Erinnerung an liebe Menschen, Fähigkeiten verschwinden, damit auch scheinbar Alltägliches wie die Fähigkeit, ohne Hilfe auf die Toilette zu gehen oder zu essen, und die Persönlichkeit betroffener Menschen kann sich in vielen Fällen stark verändern. Irgendwann stehst du einem Fremden gegenüber. Es ist schrecklich.
Isabel Bogdan hat hier versucht, den Verlauf von Demenz am Beispiel von Jörg zu schildern. Jörg ist Mitte 60 und plant gerade seine Reise nach Georgien. Er wohnt in einer WG mit Constanze, Anke und Murat, und gemeinsam sind sie fast wie eine Familie - daher auch der Begriff "Wohnverwandtschaften". Sie alle haben ihre Macken und Eigenheiten, sind aber super liebenswert. Constanze ist Zahnärztin und ist nach einer Trennung eingezogen und damit das WG-Küken und sieht die WG eigentlich nur als Übergangslösung. Murat ist Fußballfan und Hobbygärtner. Und Anke ist Schauspielerin Mitte 50, die gerne einfach wieder mal eine Rolle hätte, egal als was, egal wo. Auf den ersten Blick passen die vier gar nicht zusammen. Und das hätten sie auch vielleicht nie - doch dann beginnt Jörg, aufzufallen. Zu Beginn sind es nur Kleinigkeiten: vergessene Schlüssel oder Namen, nichts, was einem gesunden Menschen nicht auch passieren könnte. Doch irgendwann beginnt sich Constanze, Sorgen zu machen - denn als Ärztin erkennt sie die Symptome wieder, auch wenn das gar nicht ihr Feld ist.
Besonders spannend finde ich, dass Bogdan den Verlauf der Demenz auch aus Jörgs Sicht geschildert hat. So entsteht ein Bild dieser Krankheit, wie ich es in der Belletristik noch nie zuvor gesehen habe. Sie nutzt unterschiedliche Techniken, von Auslassungen bis hin zum Stream-of-consciousness, und ich finde, dass das sehr gut funktioniert hat und glaubwürdig ist. Und trotzdem werden auch die anderen Figuren nicht vernachlässigt. Auch wenn Jörg hier eine Sonderstellung einnehmen muss, haben auch die anderen ihre Sorgen und Probleme, die oft auch gar nichts mit Jörg zu tun haben, und dann immer mehr.
[Spoiler]
Die Autorin lässt uns hier mit einem offenen Ende zurück. Das fand ich überraschend gut. Nicht alle Probleme wurden gelöst, viele Fragezeichen bleiben, und das Buch wirkte so ordentlich bei mir nach. Das ist sicher nicht für alle Leser:innen angenehm, doch ich fand dieses Ende glaubwürdig und sehr gut gewählt.
[Spoiler Ende]
Hört sich jetzt nach einem ziemlich düsteren Buch an, oder? Ist es auch, über weite Stellen. Doch genauso wie ernste Passagen fand ich hier auch Aspekte, die mich zum Lachen brachten. Die Figuren bringen viel Humor mit und sorgten so dafür, dass dieses Buch trotzdem Spaß machte und mich nicht zu niedergeschlagen zurückließ.
Mein Fazit? Ein überraschendes Lesehighlight!