Quelle: Verlag |
Als ich letzte Woche in Amsterdam war, wollte ich natürlich mal wieder ein Buch kaufen, auch wenn ich immer noch über 200 ungelesene auf meinem Stapel der Schande liegen habe. Und ich war offen für eigentlich alles: jedes Genre, jedes Thema. Meine einzigen Voraussetzungen waren, dass es in einer Sprache erhältlich ist, die ich verstehe und dass es von einer lokalen Autorin stammt. Also habe ich mich für das neue Buch von Hanna Bervoets entschieden. Bervoets kenne ich schon von "Flauschig" und dieses Buch mochte ich, also konnte ich mit "We had to remove this post" nicht viel falsch machen.
Ich gehe davon aus, dass sich alle, die sich hier auf meinem Blog herumtreiben, schonmal zumindest oberflächlich mit dem Internet beschäftigt haben. Und alle, die irgendwann mal auf einem Forum oder so unterwegs waren, wissen, dass Menschen online noch unangenehmer als in der Realität sein können. Die Anonymität gibt vielen anscheinend das Gefühl, sich nicht für den Schmarrn zu verantworten zu müssen, den sie von sich geben. Daraus kann Gutes entstehen (mein Blog), aber auch sehr viel Schlechtes, ohne das wir als Gesellschaft sicher besser dran wären. Ungefragte Dickpics und Nacktfotos, Falschinformation und Verschwörungstheorien, Drohungen, Hass und die Darstellung von Gewalt. Wenn ich zu viel Zeit in Foren verbringe, verliere ich das Vertrauen in die Menschheit und beginne zu überlegen, mich für eine Marsmission als Freiwillige zu melden.
Moderator:innen von sozialen Netzwerken beneide ich deswegen auch wirklich nicht um ihren Beruf. Wisst ihr, für manche Berufe wäre ich einfach ungeeignet: Kellnerin (weil ich dafür zu oft stolpere), Pilotin (wegen meiner zu dicken Brille), Moderatorin von Facebook, Reddit und co. (wegen meiner Haut, die dafür definitiv nicht dick genug wäre). Moderator:innen sehen ja nicht nur hin und wieder einen dummen oder gemeinen Post, sondern den lieben langen Tag nur solche Beiträge. Und darunter sind auch Fotos und Videos von Dingen, die wir uns nichtmal vorstellen können: Enthauptungen, Selbstmorde, Gewalt an Tieren,... Warum auch immer jemand sowas überhaupt tut - und es dann auch noch für eine gute Idee hält, das online zu stellen... Kein Wunder, dass manche Moderator:innen nun mit Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen haben.
Hanna Bervoets beschreibt in diesem Buch das Leben einer solchen Moderatorin: Kayleigh. Sie hat diese Stelle vor allem angenommen, weil die Bezahlung dort besser ist als in dem Callcenter, wo sie bisher tätig war. Und die Dinge, die sie dort sieht, findet sie zwar natürlich schrecklich, aber sie schafft es, sich davon zu distanzieren und wenigstens wird sie nicht den lieben langen Tag von unzufriedenen Kund:innen angeschrien. Doch sie bekommt auch mit, dass nicht alle es schaffen, diese Dinge so gut wegzustecken. Ihre Kolleg:innen überstehen den Tag teils nur noch durch Drogen, ihre neue Partnerin und Arbeitskollegin Sigrid kann wegen der Dinge, die sie sich ansehen musste, nicht mehr schlafen, und wieder andere schließen sich scheinbar absurden Verschwörungstheorien an und beginnen die Dinge zu glauben, die sie den lieben langen Tag lang sehen müssen.
Und auch wenn Kayleigh scheinbar weniger von den Dingen betroffen ist, die sie sehen muss, wird uns als Leser:innen recht schnell und vor allem dann gegen Ende klar, dass wir vielleicht nicht alles glauben sollten, was uns Kayleigh erzählt. Wir müssen ihr natürlich bis zu einem gewissen Grad vertrauen, aber dann gegen Ende... Uff, keine Ahnung, wie glaubwürdig sie als Erzählerin wirklich ist. Das machte die ganze Geschichte für mich noch interessanter, denn ich hatte, als ich das Buch wieder zuklappte, keine Ahnung mehr, was ich denn wirklich glauben soll. Und das sorgte wiederum dazu, dass ich über manche der Stellen immer noch nachgrüble.
Auch der Schreibstil gefiel mir. Dieses Buch ist eine Art Briefroman. Kayleigh schreibt an einen Anwalt, der ihre ehemaligen Kolleg:innen vertritt, die beschlossen haben, die Social Media Seite zu verklagen, für die sie arbeiten. Was meiner Meinung durchaus gerechtfertigt ist: Man kann nicht verlangen, dass sich Menschen 40 Stunden die Woche mit grauenhaften Bildern, Videos und Texten beschäftigen und davon keinen Schaden davontragen. Da müsste es meiner Meinung nach doch Pflicht sein, die Leute mit Psychologen, mit Therapie, kürzeren Arbeitszeiten und viel höherer Entlohnung zu entschädigen und so zumindest Schadensbegrenzung zu betreiben.
Mein Fazit? Total spannender Roman über ein Thema, über das wir im Alltag viel öfter nachdenken sollten.
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