Hey ihr Lieben!
Heute hab ich wieder ein bisschen Literaturgeschichte für euch. Willkommen zurück also bei der Reihe, in der ich mich über dumme Entscheidungen und berühmte Menschen lustig mache, in der Hoffnung, dass ich euch so ein bisschen für die Literaturwissenschaft begeistern kann.
Das letzte Mal haben wir ja mit Kolumbus aufgehört, der um 1492 Amerika "entdeckt" hat. Eigentlich ein total unangemessenes Wort, wenn ihr mich fragt. Er war nicht der Erste, der da war und eigentlich kann man einen Kontinent ja auch nicht wirklich entdecken. Meine Vermutung ist es, dass dieser Wort ein Euphemismus ist. Also eine schöne Umschreibung für das, was eigentlich vorgefallen ist: Der Mord an unzählig vielen Menschen und die Kolonisierung Amerikas.
Wie wir das letzte Mal schon festgestellt haben, war es eigentlich nicht Kolumbus Plan, einen neuen Kontinent zu "finden". Er wollte nach Asien. Warum? Weil dort Gewürze verkauft wurden, und die Portugiesen nicht alle paar hundert Kilometer wieder bezahlen wollten, um weiterzukommen.
Mit Asien hat man früher total viele Mythen verknüpft. Der Grund dafür ist (wie könnte es anders sein?) die Religion. In der Bibel steht, dass sich der Garten Eden im Osten befindet. Wenn Kolumbus also immer weiter nach Westen segelt, muss er irgendwann so weit westlich sein, dass er schon wieder im Osten ist und dann genau bei Eden ankommt. Merkt euch das, das ist wichtig! Jetzt machen wir aber noch einen kurzen Exkurs in die damalige Wahrnehmung Asiens und wie man sich Eden so vorgestellt hat.
Eine Erwähnung im Zusammenhang mit dem Garten Eden, hat zum Beispiel Alexander der Große verdient. Laut Überlieferungen ist er bei seinen Feldzügen so weit in den Osten gelangt, dass er an die Türen des Paradieses geklopft hat. Man hat ihn aber nicht reingelassen, was ich sehr lustig finde, wenn ich mir das bildlich vorstelle.
Auch bei den alten Griechen und Römern und im Mittelalter hat man extrem viel über das Paradies geschrieben. Meist war damit der Osten oder eben auch der Westen verknüpft. Auf jeden Fall muss das Paradies in weiter Ferne liegen. Oder auch gar nicht so weit weg, zum Beispiel bei Platon: Der schrieb über den Ort Atlantis, der einfach nur perfekt war, dann aber im Meer versunken ist. Diese Stadt sollte direkt hinter der Straße von Gibraltar liegen, also auch für damalige Verhältnisse nicht unerreichbar.
Marco Polo prägte die Vorstellung von Asien besonders stark. Der reiste im
Quelle: welt.de |
Quelle: iisvaldagno.it |
Ein weiterer einflussreicher Text war "The Travels of Sir John Mandeville" aus dem Jahr 1371. Der hat sich zwar im Nachhinein als Fälschung und als frei erfunden herausgestellt, war aber trotzdem total beliebt. Auch dort wird die Geschichte von der Reise nach Asien mit Bildern wie dem auf der rechten Seite untermalt, die so wunderschöne und magische Dinge wie Zyklopen, Menschen ohne Kopf oder Menschen mit Pferdefüßen zeigten. Und natürlich wieder Kannibalen.
Wie schon gesagt wurde auch der Atlantik sehr gerne fantastisch beschrieben. Zum Beispiel im Jahre 800, im Text "Navigatio Sancto Brendani Abbatis". Darin geht es um einen mittelalterlichen, irischen Mönch, der im Atlantik herumreist, wahrscheinlich so bei den kanarischen Inseln. Auf einer dieser Inseln baut der Mönch dann einen Altar. Blöd nur, dass diese Insel gar keine Insel ist, sondern ein verdammter Wal! Wie konnte der Mönch das nicht merken?! Ist der Wal komplett reglos herumgetrieben? Hatte der nicht so eine typische Walhaut? War da Gras und Wald und ein Strand? Irgendwas, das darauf hindeutet, dass das eine Insel ist? Ich hab keine Ahnung, ich hab den Text (noch) nicht gelesen. Aber ich werde das auf jeden Fall noch nachholen und euch dann davon berichten!
So, das waren also die Texte, die Kolumbus so gelesen hat, bevor er sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Amerika machte. Ich, als Leseratte, kann mir vorstellen, dass der Typ total gehypt war und sich schon die ganze Überfahrt über ausmalte, was er dann in "Asien" wohl alles sehen wird. Und als er dann ankam, wollte er diese Dinge sehen und zwar sofort! Blöd nur, dass es in der realen Welt keine Menschen ohne Kopf gibt und keine Zyklopen und auch keine Wale, auf denen man seinen Altar errichten kann. Deswegen projizierte Kolumbus einfach alles, das er wusste oder zu wissen glaubte, auf das Land und seine Bewohner. So war er zum Beispiel felsenfest davon überzeugt, dass er sich auf der Insel der Kannibalen befand - die Bewohner nannten sich selbst nämlich Carribe, was Kolumbus als Cannibe hörte. Carribe...erinnert euch das an irgendwas? An eine Region vor Amerika vielleicht, die aus mehreren Inseln und Inselgruppen besteht? Die Karibik? Jap, richtig geraten. Kolumbus war auf einer karribischen Insel gelandet und zwar war das 1492.
Aber das war nicht das einzige Missverständnis, dass Kolumbus Erwartungen zu verdanken ist. So war Kolumbus zum Beispiel überzeugt davon, dass diese Leute Hundeschnauzen im Gesicht haben. Keine Ahnung, ob man das immer noch ein Missverständnis nennen kann. Keine Ahnung, wie Kolumbus sowas glauben konnte! Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass die Menschen auch zu dieser Zeit keine Hundeschnauzen hatten. Wie Kolumbus darauf kommen konnte? Nun, das kann ich euch zumindest ansatzweise erklären. "Cannibe", also der Wortstamm von Kannibale, kommt nämlich aus dem Lateinischen Wort für Hund. Und das hat der liebe Kolumbus wohl einfach projiziert. Fragt mich nicht, wie. Muss ein ziemlich verrücktes Pflänzchen gewesen sein, das er da geraucht hat.
Über seine Entdeckung schrieb Kolumbus 1493 in einem Brief, der natürlich auch veröffentlicht wurde. In diesem Brief wird das ganze Ausmaß seiner Verblendung sichtbar. Wenn man sich den so durchliest, könnte man echt glauben, dass das der Garten Eden ist. Es ist November und die Pflanzen blühen, es herrscht ewiger Frühling und während die einen Pflanzen noch blühen, kann man die nächsten schon abernten. Die natürlichen Hafen sind sicher und perfekt für mögliche Siedler. Es gibt ein System an Flüssen mit Trinkwasser, die natürlich die Flüsse des Paradieses sein müssen. Was auch sonst? Von ihm wurde Amerika zum ersten Mal als eine Art Mutter dargestellt. Merkt euch diese Darstellung, die wird uns noch durch die ganze Literaturgeschichte Amerikas begleiten.
Quelle: wikivisually.com |
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Bild "Christopher Columbus" von Stradanus, das der Künstler 1585 erschuf. Darauf seht ihr (wie könnte es anders sein) Amerigo Vespucci und Amerika. Ja, die nackte Frau soll Amerika sein. Kein Plan, warum das Bild "Christoph Columbus" heißt und dann Vespucci abgebildet ist. Ist aber so, zumindest, wenn ich meinen Professoren glauben darf.
Auf jeden Fall ist Amerika hier eine junge und nackte Frau. Amerigo auf der anderen Seite ist angezogen und schleppt außerdem noch eine Flagge mit sich rum, ein Kreuz und dieses runde, astrologische Gerät, dessen Name ich nicht kenne. Das Kreuz und die Fahne symbolisieren auf der einen Seite die Macht der Kirche und auf der anderen die Macht des Staates. Er hat beide Mächte auf seiner Seite, wie kann es auch anders möglich sein? Amerika liegt in einer Hängematte. Das verweist darauf, wie man den Kontinent damals wahrnahm: Ein Ort, wo man nichts tun muss und den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen kann. Wächst eh einfach alles immer, zu jeder Jahreszeit. Wie Kolumbus schon in seinem seinem Brief beschrieb: Amerika ist ein Schlaraffenland.
Trotzdem werden in diesem Bild schon die gefährlichen Seiten Amerikas sichtbar. Da sind seltsame Tiere, neben Amerika lehnt eine Waffe, die sie jederzeit verwenden könnte und im Hintergrund gibt es Kannibalismus.
Doch warum ist der Kannibalismus so bedeutend? Wo Amerika doch das Paradies auf Erden sein soll? Nun, das lässt sich ziemlich leicht erklären. Die Seefahrer wollten sich Amerika ja nicht einfach nur ansehen und dann nie wieder zurückkommen. Sie wollten das Paradies für sich erobern. Denn der neue Kontinent muss ja ein Paradies sein, sonst fällt doch die Werbefunktion weg. Jap, richtig gehört: Schon zur Zeit von Kolumbus war Werbung wichtig. Wie sonst soll man Investoren für seine nächste große Seefahrt anlocken? Auch im Hinblick auf die Werbefunktion hört sich der Kannibalismus ziemlich paradox an, nicht? Nun, eigentlich macht es sogar Sinn, sowas auf die Ureinwohner zu projizieren. Man konnte sich ja schon damals denken, dass die Besiedelung des neuen Kontinents jetzt nicht unbedingt friedlich zugehen würde. Also hat man die Ureinwohner einfach als böse Kannibalen vermarktet, die sich den Garten Eden unter den Nagel gerissen haben. Und da ist es doch selbstverständlich, dass die guten Christen das Paradies vor den Kannibalen retten müssen, wenn die das nicht freiwillig hergeben. Ihr seht, worauf das hinausläuft? Wenn man sich so eine Geschichte ausdenkt, lässt sich viel Grausamkeit rechtfertigen.
Merkt euch diesen Gegensatz zwischen Paradies und Wildnis, zwischen Erotik und der tödlichen Gefahr, das ist bis heute ein Leitmotiv in Kunst, die sich mit Amerika auseinander setzt.
Bleiben wir noch ein bisschen beim Thema Kannibalismus, das ist gerade so schön spannend. Vespucci sagt euch sicher auch was, oder? Das ist der Typ, der erkannt hat, dass Amerika ein ganzer Kontinent ist und nicht ein Teil von Asien. Nach ihm ist Amerika benannt. Kolumbus hat das ja bis zu seinem Tod nicht gerafft, dass das nicht China und auch nicht Indien ist. Auf jeden Fall beschreibt Vespucci eine ganz ähnliche Szene, wie oben dargestellt wurde. Ein junger Mann trifft auf ein paar einheimische Frauen. Laut meinem Professor wird hier eine "male fantasy" beschrieben, also eine männliche Fantasie. Die Geschichte endet nicht besonders schön für den jungen Mann: Er wird ermordet und gekocht. Wieder also: Auf der einen Seite die Verlockung der Frauen, die Erotik, und auf der anderen Seite die tödliche Gefahr.
Natürlich stand man der Beschreibung der Ureinwohner auch damals zumindest manchmal kritisch gegenüber. Wichtig ist hier zum Beispiel der Text "Über die Kannibalen" von Michel de Montaigne aus dem Jahre 1580. Der liest sich total leicht, wenn ihr also grad ein bisschen Zeit habt, dann blättert den gerne mal durch. Er schreibt, wie der Titel schon sagt, über den Kannibalismus in Amerika und zwar aus einer erstaunlich positiven Sicht. Die Kannibalen sind hier keine Monster und keine Unmenschen, im Gegenteil. Eigentlich sieht er sie sogar als bessere Menschen als die Leute aus dem Westen es sind. Die Leute im Westen sperren ihre Feinde unter unmenschlichen Bedingungen ein, nur um sie dann später zu foltern und zu töten. Die Ureinwohner bieten ihren Gefangen an, dass sie ein Teil ihrer Gemeinschaft werden dürfen. Erst, wenn sie das nicht tun, werden sie getötet und gegessen. Und auch dann ist das eigentlich nicht tragisch, zumindest nicht laut Montaigne. Immerhin werden hier nur Atome ausgetauscht. Die Welt ist in seinem Weltbild ein einziger großer Organismus. Nichts kann verloren gehen. Deswegen ist Kannibalismus nichts Negatives - die Atome eines Menschen werden nur auf die aufgeteilt, die ihn essen. Die Ureinwohner werden zu "noblen Wilden" - auch das ist ein Bild, das bis heute verwendet wird.
Quelle: pinterest.com |
Die erste bildliche Darstellung der Ureinwohner stammt übrigens aus dem Jahre 1505 und zwar handelt es sich dabei um einen Holzschnitt von Froschauer. Auch hier ist der Kannibalismus wieder sehr schön sichtbar. Vom Dach hängen menschliche Körperteile, die über einem Lagerfeuer geröstet werden und manche der Figuren sind sogar gerade dabei, zu essen. Doch auch hier findet sich gleichzeitig wieder das Bild der Mutter: im Vordergrund ist eine Mutter gerade dabei, ihr Kind zu säugen. Ach ja, und rechts oben sieht man im Hintergrund, dass ja Gott sei Dank die Europäer schon auf dem Weg sind, um dem seltsamen Treiben der Kannibalen ein Ende zu bereiten.
Und mit diesem Bild hören wir heute auch schon wieder auf. Ich hoffe, dass ihr beim Lesen dieses Posts genauso viel Freude hattet wie ich während dem Schreiben! Das nächste Mal geht es dann um einen ganzen Haufen europäischer Entdecker und um einen Krautkopfmann.
Alles Liebe,
Eure Mira
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